Der einstige Welttorhüter hat nach dem verpassten Aufstieg den Vertrag mit seinem Herzensklub Parma aufgelöst. In Erinnerung bleiben grossartige Paraden und der eine oder andere Skandal.
Tom Mustroph
5 min
Gianluigi Buffon lässt die Hände vom bezahlten Fussball: Der 45-jährige einstige Welttorhüter hat seinen noch bis Sommer 2024 gültigen Vertrag mit dem Herzensklub Parma aufgelöst. Der Parma-Besitzer Kyle Krause ist ein erklärter Buffon-Fan und legte dem Goalie keine Steine in den Weg. Auch wenn der vor zwei Jahren getätigte Transfer Parma nicht zurück in die Serie A brachte und Buffon nicht mehr auf dem gewohnten Niveau agierte, verhalf er dem Klub immerhin zu Stabilität, Aufmerksamkeit und zur Wiederbelebung der Tugend Treue.
Der Abschied hatte sich angedeutet. Bei seinem letzten Auftritt im heimischen Stadio Ennio Tardini hatte Buffon vergangene Saison schon nicht mehr den angestammten Platz zwischen den Pfosten inne, er sass auf der Bank. Und erlebte dort, wie sein Stellvertreter Leandro Chichizola zwar das Gehäuse rein hielt, doch das 0:0 gegen Cagliari im Halbfinal der Play-offs der Serie B reichte nicht, um in den Final einzuziehen.
That's all folks!
— Gianluigi Buffon (@gianluigibuffon) August 2, 2023
You gave me everything.
I gave you everything.
We did it together. pic.twitter.com/bGvIDsoFsG
Für Buffon war damit der Traum von der Rückkehr in die Serie A geplatzt. Tränen rannen über sein Gesicht, in dieser Spätphase der Saison hatte er viel richtig gemacht. Im Hinspiel gegen Cagliari führte Parma 2:0, dann musste Buffon in der Halbzeit wegen Muskelproblemen seinen Platz räumen. Cagliari unter dem Trainerfuchs Claudio Ranieri drehte den Match und gewann 3:2.
Und damit gab es kein neues Fussballmärchen für den Weltmeister von 2006, den zehnmaligen italienischen Meister mit Juventus und den Fifa-Welttorhüter von 2017.
Beim Debüt als 17-Jähriger die grosse AC Milan zur Verzweiflung gebracht
In Parma begann 1995, vor mittlerweile 28 Jahren, die Karriere des Gianluigi Buffon. Bei einem der zahlreichen Jubiläen des Jungen aus der Marmorstadt Carrara erinnerte sich der damalige Parma-Coach Nevio Scala wie folgt an die Anfänge: «Es war ein Samstag, einen Tag vor dem Aufeinandertreffen mit der AC Milan mit Phänomenen wie Roberto Baggio und George Weah. Unser Stammtorhüter war verletzt. Wir wollten eigentlich die Nummer 2 einsetzen. Aber dann gab es diese Trainingseinheit: Niemand, wirklich niemand schaffte es, im Training ein Tor gegen diesen 17-Jährigen zu erzielen. Nach dem Abschlusstraining war ich mir mit unserem Goalietrainer einig: Es spielt Buffon.»
Im Training als junger Parma-Spieler.
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Zu Parmas Kader gehörten damals Grössen wie Christo Stoitschkow, der zuvor mit dem FC Barcelona vierfacher spanischer Meister geworden war, oder Gianfranco Zola, im Jahr zuvor mit Italien WM-Zweiter. Sie alle trafen im Training nicht. Später im Match verwehrte Buffon auch Weah, Baggio und all den anderen im Dress der Rossoneri den Jubelschrei. «Wir hatten den Sieg verdient. Die drei Punkte bekamen wir aber nicht, weil Buffon im Tor stand», bilanzierte damals der Milan-Trainer Fabio Capello.
Seinem Serie-A-Debüt im November 1995 liess Buffon 657 weitere Partien in Italiens höchster Spielklasse für Parma und ab 2001 für Juventus folgen. Mehr als 58000 Minuten stand er laut der Website transfermarkt.de auf dem Platz. Das sind mehr als 40 Tage und Nächte hintereinander. Hinzu kommen 176 Länderspiele, dazu die Saison mit Juventus in der Serie B – auch das ein Zeichen von Treue in sehr schwierigen Momenten – sowie die Serie-B-Spiele für Parma in den letzten beiden Saisons und das Jahr bei Paris Saint-Germain.
Als Hugo Brizuela nicht glaubte, was er sah
Die wichtigste Parade war wohl die im WM-Final 2006 in Berlin, als Buffon einen wuchtigen Kopfball von Frankreichs Star Zinedine Zidane noch über die Latte lenkte. Buffon bewahrte da ganz allein die Titelhoffnungen einer ganzen Nation. Zu seinen spektakulärsten Taten gehörte, als er, erneut im heimischen Tardini-Stadion, 1998 im Länderspiel gegen Paraguay einen aus kürzester Distanz abgefeuerten Schuss noch unter der Latte wegkratzte. Hugo Brizuela hiess der Mann, der nicht glauben wollte, was er sah, und der wohl nur wegen der Glanztat Buffons in Rückblicken hin und wieder auftaucht.
Buffons grösste Paraden.
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Seinem Nationalmannschaftskollegen Filippo Inzaghi bescherte Buffon ebenfalls einen Moment der Ohnmacht. Im Champions-League-Final 2003 fischte der Juventus-Keeper mit einem wahren Löwensatz einen Flugkopfball des Milan-Angreifers noch vor der Linie weg. Milan gewann zwar das Spiel, aber Inzaghi war immer wieder neu fassungslos, wenn er sich an die Szene erinnerte.
Der tolle Sprung hätte auch Thomas N’Kono stolz gemacht. Der Goalie Kameruns war Buffons Vorbild, als er sich entschied, sein Glück zwischen den Pfosten zu suchen. «Ursprünglich wollte ich wie jedes Kind Tore schiessen und nicht verhindern. Dann riet mir mein Vater, es als Goalie zu versuchen. Ich wollte das ein Jahr lang ausprobieren. Aber schon nach fünf, sechs Monaten sahen die anderen wohl ein Talent in mir», erinnerte sich Buffon vor ein paar Jahren.
Als Mittelfeldspieler hatte er es im Alter von zehn Jahren in einer Regionalauswahl der Toskana sogar in den Mailänder Fussballtempel San Siro geschafft. Aber sein Vater Adriano, einst italienischer Jugendmeister im Kugelstossen, hatte den Blick für die Stärken seines Sohns: lieber fangen als kicken.
Wie richtig Buffon senior lag, lässt sich auch an jüngeren Video-Galerien beobachten. In denen werden mit Vorliebe die schlimmsten und kuriosesten Patzer Buffons bei seinem zweiten Engagement in Parma gezeigt. Beim 2:1 von Perugia gegen Parma im April letzten Jahres schlägt er weit aus dem Tor herauskommend den Ball so ungeschickt zur Seite, dass Perugias Angreifer nur noch locker einschieben muss. Und beim 0:4 gegen Bari in der abgelaufenen Saison trifft er an der äussersten Ecke des Strafraums anstelle des Balles den Fuss des Gegenspielers und verursacht einen Penalty, den er auch nicht zu halten in der Lage ist.
Buffons Lapsus gegen Perugia.
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Der Abschied vom Leistungssport ist deshalb logisch. In seinem letzten Jahr in Parma tat er sich vor allem als Botschafter hervor. Er machte etwa einen kleinen Jungen aus der Ukraine, der selber auch Goalie ist, mit einem persönlichen Treffen glücklich. Und er kümmerte sich um den eigenen Nachwuchs. «Als Gigi und auch unsere Nummer 2 verletzt waren und wir auf einen jungen Burschen aus unserer Akademie zurückgreifen mussten, war er der Erste, der bei dem Jungen war und ihm Zuversicht vermittelte», erzählte der Parma-Besitzer Krause.
Ein Idol folgt dem andern: Buffon soll Nachfolger Viallis werden
Gemäss italienischen Medien ist Buffons Zukunft schon geregelt: Er soll Nachfolger Gianluca Viallis als Delegationsleiter der italienischen Nationalmannschaft werden. Der Posten blieb seit dem Tod des anderen Calcio-Idols verwaist.
Was auch noch bleibt von Buffon: Er hatte keine glückliche Hand als Geschäftsmann. 26 Millionen Euro versenkte er in der Textilfirma Zucchi. Seine Neigung zum Wettgeschäft führte auch zu – allerdings eingestellten – Ermittlungen im Zuge des Wettskandals 2006. Er legte zudem einmal ein gefälschtes Matura-Zeugnis vor, um sich an einer Universität einschreiben zu können. Aber das war noch im letzten Jahrhundert.
In diesem Jahrhundert immerhin hatte er die menschliche Grösse, von seinen Depressionen zu berichten. Er trug mit dazu bei, dieses Thema sichtbar zu machen. Gianluigi Buffon hat in seinem Leben mehr getan, als nur Bälle zu halten, selbst wenn er darin einer der Grössten war.
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Tom Mustroph